Fotostrecke Kwiggle-Faltrad, 20 Bilder

Ratgeber Rad - Faltrad Kwiggle Achtung, Fahrer schwenkt aus!

Der Fahrradboom bringt mitunter völlig neuartige Modelle hervor, zum Beispiel das Faltrad Kwiggle. Seine Bauweise und die Art, sich darauf fortzubewegen, befremden zunächst - bieten aber manchen Vorteil.


Der folgende Text ist ein Abdruck der Veröffentlichung auf spiegel.de, um unseren Besuchern eine übersetzte Version des Spiegel-Tests anbieten zu können.

Das Original finden Sie hier:

Der erste Eindruck: Achtung, Fahrer schwenkt aus - mit dem Hintern!

Das sagt der Hersteller: Karsten Bettin steht vor uns und wackelt mit dem Po. So verdeutlicht der Kwiggle-Erfinder, wie das Faltrad seinen Fahrern Beweglichkeit in der Hüfte beibringt, beiläufig und unbeschwert dank einer seitlich schwingenden Satteleinrichtung.

Vor vier Jahren schmiss der gelernte Maschinenbauingenieur seinen Job bei einem Energieversorger in Hannover und arbeitete fortan daran, sein ungewöhnliches Fahrrad marktreif zu machen. "Es ging mir darum, eine Fahrradgeometrie zu finden, mit der man sich aufrecht, wie man sich als Mensch bewegt, fahren kann", sagt Bettin.

Das Kwiggle ist ein rekordverdächtig komprimierbares Faltrad, das auffällt: Man fährt es stehend, abgestützt nur durch einen Minisattel, der sich im Rhythmus der Pedalbewegung nach rechts und links bewegt. Darunter, wo ein normales Rad ein Sitzrohr hat - nur Luft. Bettin: "Das ist am Anfang ganz komisch, für jeden. Man setzt sich drauf und denkt sich, woahaha, was ist denn das?"

Hilft gegen Hüftblockaden und Nackenverspannungen

Dann beginne ein Lernprozess im Gehirn. Nach rund 3500 Wiederholungen des Bewegungsablaufes - rund 20 Kilometer Fahrt - habe man die Bewegung "auch oben intus". Ab dem Moment fühle sich diese neue Art des Fahrradfahrens normal an. Auf dem Kwiggle bleibe der gesamte Körper in Schwung, was auch gegen Hüftblockaden und Nackenverspannungen helfen könne.

Ob das Rad derartige Verkaufsversprechen tatsächlich einlöst, hängt vermutlich nicht zuletzt vom Körper und der Gesundheit des jeweiligen Fahrers ab. In jedem Fall ist der Unterschied zur eher starren, gebückten Körperhaltung auf einem Rennrad enorm. Dort, sagt Bettin, bleibe zum Beispiel der untere Rückenbereich oft angespannt - was Muskeln ermüden und verspannen lasse.

Hinzu komme ein effizienzsteigernder Effekt: Die seitliche Sattelbewegung bringe das nach unten tretende Bein immer in eine optimale Position über dem Pedal. So könne der Fahrer sein Gewicht besser einsetzen und spare Oberschenkelkraft. Wie ein eingebauter Wiegetritt sei das, nur dass der Fahrer nicht mit jeder halben Kurbelumdrehung sein Körpergewicht immer wieder anheben müsse. Höhenmeter bewältige er müheloser als auf einem Rennrad, sagt Bettin.

Das ist uns aufgefallen: Wie man in der Öffentlichkeit wirkt, muss einem egal sein. Der Ententanz, den man im Schwingsattel veranstaltet, provoziert ungekannte Reaktionen. Mal spricht nur Interesse aus den Gesichtern, mal Belustigung, mal Erstaunen nach dem Motto "Ich guck' wohl nicht richtig".

Mit ausschwenkendem Hintern klammern wir uns an den schmalen Lenkbügel, um ein bisschen Halt zu bekommen - und verkrampfen erst mal. Nach ein paar Hundert Metern sind Arme und Beine müde. Offenbar ist unser Hirn noch nicht reif für das Kwiggle.

Wir sind keine 20 Kilometer gefahren, da macht es klick. Plötzlich harmoniert die Fahrrad-Mensch-Maschine. Schwung rechts, Schwung links, es läuft. Aber ist das wirklich weniger anstrengend? Dafür gibt es immerhin ein Indiz: Unsere Begleitung auf einem normalen Rad beginnt früh zu keuchen - anders als wir.

Als Rennradersatz taugt das Kwiggle, auf dem Schöpfer Bettin schon mal mit Tempo 58 einen Berg hinabgerast ist, natürlich nicht. Eher ist Vorsicht geboten. Grund sind die kleinen 12-Zoll-Räder. Zwar laufen die aus einem Stück gefertigten Alufelgen auch bei höherem Tempo frei von Flattern. Doch jedes Schlagloch ist eine Falle, in der sich die Räderchen verfangen könnten. Und jeder höhere Bordstein wird für die 12-Zöller zur Wand."Wir müssen schon gucken, wo wir langfahren", räumt Bettin ein.

Das Vorderrad am Lenker hochzuwuchten, um Hindernisse dieser Art zu überwinden, empfiehlt sich nicht, das Kwiggle könnte sich aufbäumen, unbeabsichtigten Wheely verhindert, wer bei solchen Manövern den Po leicht anhebt. Weil der Radstand mit 70 Zentimetern sehr kurz ist und man weit hinten über dem Rad sitzt, hält das Vorderrad nicht viel am Boden. Auch wer am Berg zu sehr in die Pedale drückt, hebt schnell vorn ab.

Das muss man wissen: Am Kwiggle ist vieles kleiner, und so lässt es sich auf Handgepäckmaß zusammenlegen. Im Flugzeug reist es überm Kopf im Gepäckfach mit. Das Packmaß liegt bei 55 x 40 x 25 Zentimetern. Das ist kleiner als etwa die Konkurrenz von Brompton oder Riese + Müller, die 16- und 18-Zoll-Räder anbringt. Entscheidend zur Schrumpfkur tragen die entnehmbaren Steckpedale bei.

So bleibt das Faltrad aus Hannover zwar im Rahmen der Empfehlung der Internationalen Luftverkehrs-Vereinigung IATA zur Handgepäckabmessung (56 x 45 x 25). Wer das Kwiggle aber wirklich mitnehmen will, sollte bei den Airlines genau nachschauen: So gibt die Lufthansa 55 x 40 x 23 Zentimeter und maximal acht Kilogramm an. Dort und bei vielen anderen Airlines wäre das Kwiggle ein bisschen zu groß und zu schwer. Bei Easyjet, Iberia oder British Airways hingegen geht es laut den Angaben auf den Airline-Websites als Handgepäck durch.

Datenblatt: Kwiggle

Rahmenmaterial:

Stahl und Aluminium

Rahmengröße:

einheitlich, passend für Körpergrößen zwischen 1,35 m und

1,95 m

Schaltung:

3-Gang-Kettenschaltung, Eigenentwicklung

Bremse:

Tektro Seitenzugbremse

Laufräder:

12 Zoll, Aluminium

Bereifung:

Schwalbe Big Apple mit Reflexstreifen

Packmaß:

55 x 40 x 25 cm

Gewicht:

ca. 10 kg

Beleuchtung:

Frontlicht Busch und Müller EYRO (30 Lux) mit integriertem Akku, Rücklicht Spanninga Nr. 9 mit Batterie

Zuladung:

maximal 90 kg 

Preis:

Testrad: 1452,44 Euro; Basispreis: 1189,24 Euro (Direktvertrieb)

Die größere Zielgruppe dürfte sich aber ohnehin unter den Berufspendlern finden, die am Boden bleiben. Während andere Falträder je nach Größe im Gang stehen müssen, passt der gefaltete Sattelschwinger unter die Sitze in S-Bahn oder ICE, Straßenbahn und Bus. Für Bettin ein Beitrag zur Lösung städtischer Verkehrsprobleme: "Wenn ich Verkehrswende denke, brauche ich Mobilität zum Mitnehmen."

Auch das Kwiggle selbst kann was mitnehmen. An einer Aluhalterung an der Lenksäule, die der Hersteller Gepäckträger nennt, können Fahrradtaschen von Ortlieb, Vaude oder anderen Herstellern mit passendem Einhängesystem fixiert werden. Wer aufrecht fahrend die seltsame Außenwirkung des Kwiggle zuspitzen möchte - auch das geht. Dazu hat sich Karsten Bettin ein unscheinbares Zubehör ausgedacht: einen 19 Zentimeter langen Riemen (11,60 Euro), mit dem man einen Rollkoffer schleppen kann.

Das werden wir in Erinnerung behalten: Popo hin oder her? Das war uns irgendwann egal, weil uns das "Kwiggeln" total locker gemacht hat - auch wenn man für seine Umwelt immer einen Lacher wert ist.