Der folgende Artikel ist ein Abdruck aus der Veröffentlichung des Kwiggle-Faltrad-Langzeit-Tests (500km) auf Welt.de, um unseren Besuchern eine Übersetzung in alle verfügbaren Sprachen anbieten zu können.

Das Original findet sich hier: DIE WELT: Dieses-Faltrad-soll-Pendel-Deutschland-erobern


Das Kwiggle ist das kleinste Faltrad der Welt, und unser Autor hat es sechs Wochen im Alltag getestet. Sein Fazit: Es hat das Zeug, Deutschlands Mobilität zu revolutionieren. Dennoch verraten die Reaktionen auf dieses Gefährt erstaunlich viel über unsere Gesellschaft.

DIE WELT, FREITAG, 29. JULI 2022

Brieselang, ein Kaff in Brandenburg, 30 Kilometer westlich von Berlin-Mitte gelegen. Einmal in der Stunde fährt die Regionalbahn gen Hauptstadt. Um 2:06 die letzte. An sich schon ungünstig, dass mein früherer Klassenkamerad ausgerechnet hier, in einer Nacht von Samstag auf Sonntag, in seinen 30. Geburtstag hineinfeiert.

Doch überdies hat er sein Haus 30 Gehminuten vom Bahnhof entfernt gebaut. Ein Bus schon bei der Hinfahrt um 19:00 Fehlanzeige. Ein Uber? – Als ob. Zum Glück habe ich ein Kwiggle dabei, das kleinste Faltrad der Welt, und lege die knapp drei Kilometer in sieben Minuten zurück.

Doch es muss ja nicht einmal ein solcher Sonderfall sein. Viele Deutsche stecken mitten in Verkehrswende und „Spritflation“ vor dem Problem, täglich weite Strecken vor allem zur Arbeit zurücklegen zu müssen. Nicht zuletzt mein Schulfreund, der als Polizist im Schichtdienst täglich von Brieselang ins Berliner Zentrum muss.
Geht es nach Politik und Bevölkerung, sollen immer weniger Pendler das Auto nutzen. Oft sind die Verbindungen aber so karg, dass nur Überzeugungstäter die Sache durchziehen. Laut letzten Destatis-Zahlen bleiben knapp 70 Prozent aller Pendler beim Auto – Dorf und Umland haben oft keine andere Wahl.


Die Antwort könnte „Mobilität zum Mitnehmen“ lauten: Auto stehen lassen, an Bahnhof oder Haltestelle heranfahren, in den Nahverkehr steigen. Tragbares Vehikel verstauen, fahren, aussteigen und erneut die letzten (Kilo-)Meter aus eigener Kraft zurücklegen.

Eine zumindest im Berliner Nahverkehr gefühlt steigende Zahl versucht ihr Glück mit dem Fahrrad. Doch das herkömmliche bald zwei Meter lange Zweirad hat natürliche Grenzen: Die wenigen ausgewählten Fahrrad-Waggons in Regio, Und S-Bahn sind allzu schnell voll. Die Fahrräder nerven diejenigen, die sie mitführen und die anderen Fahrgäste gleichermaßen.
Sie blockieren Sitze, mitunter müssen Bahnen durchgelassen werden, damit man hineinpasst. Sie erfordern ein zusätzliches Ticket, das oft so teuer wie der Einzelfahrtschein ist. In Bus und Tram ist die Mitnahme ohnehin meist nicht möglich. Und wie soll es erst werden, wenn tatsächlich mehr aufs Fahrrad umsteigen?


Ein Rad für Pendler?
Oder ein Witz?

Das Kwiggle ist das kleinste Faltrad der Welt. Unser Autor hat es sechs Wochen im Alltag getestet.

In diese Marktlücke stößt das Kwiggle. Das einzige Faltrad im Handgepäckformat soll unter jeden Sitz und in jeden Spind passen, wird mir versprochen. Bei der Übergabe bläut mir Erfinder und CEO Karsten Bettin selbstbewusst ein: „Es wird nie ein kleineres Faltrad geben, da bin ich absolut sicher."

Bettin montiert das Kwiggle mit zehn Mitarbeitern in Hannover, erhält Teile von 35 Zulieferern, vorwiegend aus Deutschland und Italien. Er stößt derzeit wenige Tausend Exemplare im Jahr aus, könnte aber mit dem richtigen Investor – unter anderem Carsten Maschmeyer hat er eine Absage erteilt – rasch skalieren, wie er sagt.

WELT hat das Kwiggle sechs Wochen lang im Alltag in allen möglichen Situationen, Strecken und Fahrzeug-Kombinationen getestet – von Bus, ICE, Auto bis zur Fähre. Für eine größere Gruppe von Deutschen könnte es eine Erleichterung bringen, so viel sei verraten. Und doch bin ich nie ein Vehikel gefahren, das die Geister so geschieden hat wie das Kwiggle.

Als ich das Rad zum ersten Mal live sehe, entfährt es mir: „So klein?“. Auch als ich damit unterwegs bin, höre ich immer wieder: „Das ist aber ein kleines, kompaktes Fahrrad“. Klappt man das Kwiggle dann zusammen, erkennen es viele nicht einmal mehr als Fahrrad, vor allem wegen der kleinen Räder. Das Falten ist schnell erlernt, Klappmechanismen und Material sind hochwertig. Nach einigen Tagen gelingen mir Einund Ausklappen jeweils in etwa 15 Sekunden.

Zum Vergleich: Stellt man ein Faltrad des britischen Marktführers Brompton (115x50x23cm) daneben, wirkt das Kwiggle (55x40x25cm) halb so groß. Auch andere Fabrikate wie Strida, Helix, Pacific Cycles, Tyrell, Riese und Müller oder Tern sind deutlich größer als das Kwiggle.

Im Alltag spüre ich schnell den Größenvorteil. Wieder ist die Regio-Fahrt nach Brieselang ein gutes Beispiel: Während meine Freundin zwischen Sitz, Haltestange und Fahrrad eingeklemmt eine halbe Stunde aufpassen muss, dass ihr Rad nicht wegrollt oder umfällt, sitze ich gemütlich mit zwei freien Händen und habe das Faltrad unter dem Sitz deponiert.

Ich überlege mir, so könnten es in dem Waggon Dutzende tun, in den Gepäckablagen ließen sich weitere Kwiggle verstauen. Hunderte im gesamten Zug. Fahrradstellplätze und -parkhäuser am Bahnhof, überall verteilte E-Roller und Leihräder würden überflüssig. Eine enorme Platzersparnis, ich verstehe die Vision der Tüftler hinter Kwiggle.

Aber auch ohne größere Idee ist das kleinste Faltrad der Welt einfach praktisch. Wenn ich in der S-Bahn keinen Sitzplatz bekomme, stelle ich das Kwiggle zwischen meine Beine und beanspruche kaum mehr Platz als ohne Rad. Einem Familienvater rutscht ein „Megapraktisch“ raus. Im ICE passt mein Kwiggle unter den Sitz – allerdings nur eins unter einen Doppelsitz.

Wie klein das Kwiggle ist, zeigt sich auch daran, dass es einen Rucksack aus schwarzem Zeltstoff dafür gibt. So kann man es nicht nur auf dem Rücken tragen, sondern es auch im ICE oder Flugzeug in die Gepäckablage legen, ohne Schmiere auf anderen Gepäckstücken zu verteilen. Der Kwiggle-Rucksack kostet 95 Euro.

In meinem Nordsee-Urlaub lade ich das Kwiggle zudem in den Kofferraum eines Opels Astra, zwei bis drei weitere würden Platz finden – ganz ohne Fahrradträger am Heck oder auf dem Dach. Anstatt mit drei Autos zu fahren, könnten drei Pendler mit einem Auto und drei Kwiggles fahren, zentral parken, die letzten Meter mit dem Faltrad zurücklegen und sich abends am Auto wiedertreffen.
In vier Schwimmhallen und zwei Fitnessstudios, die ich im Test ansteuere, passt das Klapprad in die Spinde. Ein Fahrradschloss wird überflüssig. Einmal muss ich eines der Steckpedale, einmal beide abmontieren, um die nötige Breite zu erreichen. Dabei habe ich etwas Öl am Finger, ansonsten geht das schnell und einfach. Einzig auf der Arbeit, in einem offenbar nicht genormten Spind, passt das Kwiggle nicht. Ich stelle es unter den Schreibtisch.

Praktisch sind auch die beiden Rollen an der Lenkstange, die das Kwiggle zum Rollkoffer machen. Etwa im Urlaub an der Nordsee, wo ich mehrere Ostfriesische Inseln besuche: Ich klappe das Rad zusammen, stelle es auf die Rollen, ziehe den Lenker so weit es geht heraus und rolle die etwa zehn Kilogramm vom Parkplatz auf die Fähre. Auf Dauer wird das Schleppen nämlich doch etwas anstrengend. Das merke ich, als ich Bekannte im vierten Stock ohne Aufzug besuche.

Und auch an das Rucksack-SchwitzProblem hat Kwiggle gedacht: An der Lenkstange sind zwei Haken angebracht, die das Mitführen einer handelsüblichen Fahrradtasche ermöglichen. Im Test musste ich nur die Haken an meiner Ortlieb-Tasche etwas nach innen versetzen.

So überzeugend die Platzersparnis ist, will das Fahren des Kwiggles doch gelernt sein. Ich brauche etwa zwei Tage, bis ich mich sicher darauf fühle. Den „Kwiggle-Move“ spüre, wie es Karsten Bettin bei der Einweisung formuliert: Die Sattelstange schwingt nach rechts und links frei. Der Sattel ist klein und klemmt leicht schräg unter meinem Gesäß.

Ich stehe halb beim Fahren, habe einen sehr schmalen Lenker in der Hand, den ich nicht zu fest umklammern darf, und habe den Schwerpunkt im Vergleich zum gewöhnlichen Fahrrad weit hinten. Ich schwinge oberhalb des Hinterrädchens.

Das ist nicht ungefährlich: Beim Anfahren lehne ich mich einmal zu weit nach hinten, das Vorderrad hebt ab, mir haut das Kwiggle nach vorne ab, ich falle auf den Asphalt. Hier empfiehlt es sich, gerade beim Lostreten und Überwinden von Bordsteinen, den Oberkörper etwas nach vorne zu verlagern. Als ich das verinnerlicht habe, kann ich auch mit einem vollgepackten 60-Liter-Wanderrucksack ohne Balanceproblem fahren.

Die harten kleinen Reifen, die mit vier Bar aufzupumpen sind, sollte man zunächst ebenfalls nicht unterschätzen. Schon niedrige Bordsteine, Wurzeln und ähnliches muss ich frontal anfahren – seitlich droht rasch das Tramschienen-Phänomen. Die Härte der 12-ZollRäder schüttelte mich zudem auf Kopfsteinpflaster und holprigem Untergrund teilweise ordentlich durch. Das Kwiggle ist eindeutig für ebenen Untergrund gemacht.

Dann allerdings sind auch längere Fahrten komfortabel. Erst nach 20 Kilometern wünsche ich mir meist eine Radlerhose. Das aufrechte Fahren empfinde ich als angenehm und rückenschonend. Dank der sehr guten Übersetzung beschleunige ich wie mit einem 26-ZollRad, ein Tempo von 25 bis 30 km/h ist ohne Weiteres möglich. So überhole ich regelmäßig Fahrradfahrer, die es kaum fassen können, wie ich mit den Minirädern an ihnen vorbeiziehe.

Die Drei-GangSchaltung genügt mir völlig, das Kwiggle ist aber auch mit einem oder sechs Gängen (Aufpreis 504 Euro) erhältlich.

Allerdings ist das Kwiggle nicht für alle geeignet: Für Körpergröße 135 bis 195 cm und maximal 100 Kilogramm, gibt der Faltradbauer an.

Doch noch eine weitere Sache ist bei der Kaufentscheidung unbedingt zu beachten: Man erregt Aufsehen, provoziert ständig Reaktionen, muss erklären, und zwar einfach, weil man von A nach B fährt. Vor allem am Anfang verblüffte und beschäftigte mich das. Meine Freundin stieß lachend ein „Sexy as fuck“ hervor. Sie versendete amüsiert Videos von ihrem kwiggelndem Freund an die Verwandten. Die Antwort ihrer Mutter war eindeutig: „Gott, sieht das dämlich aus“.

Auf dem erwähnten Geburtstag in Brandenburg wurden die Gäste noch deutlicher: „Das sieht so scheiße aus“, sagte eine Mitvierzigerin schon beim ersten Bier. „Das ist aber nicht deins, oder?“, wollte ein früherer Mitschüler wissen. Teilweise fielen homophobe Aussprüche. Zwei wollten das Fahrrad aber auch Probe fahren, einige stellten Fragen und zeigten sich vom Konzept beeindruckt. „Kaufen würde ich mir das aber niemals!“, hieß es letztlich meist.

Wenn ich gleichaltrige Kumpels in Berlin besuchte, waren die Reaktionen meist eher belustigt. „Was ist das denn?“, hieß es in Charlottenburg. Ein süffisantes „Dann komm mal gut nach Hause“, wurde mir in Schöneberg gewünscht – als sei ein Ankommen auf der sieben Kilometer kurzen Strecke vollkommen ungewiss. Damit muss man klarkommen.

Auch mit glotzenden Passanten, permanenten positiven wie negativen Einschätzungen von allen Seiten, mit giggelnden kleinen Mädchen an Weddinger Straßenecken, wenn man an ihnen hoch zu Kwiggle vorbeifährt. Mit einem Obdachlosen, der einen lauthals auslacht. Und mit Autofahrern, die einen extra großen Bogen um einen machen, weil sie den Fahrkünsten des leicht schwingenden Exoten nicht trauen.

Wobei es sicherlich auch darauf ankommt, wo man unterwegs ist. In Ostfriesland im Urlaub schlägt meinem Kwiggle deutlich mehr Wohlgefallen entgegen. „Geiles Ding“ schallt es etwa beim Vorbeifahren aus einem Strandkorb.

Und ja: Das Zeug dazu, die Mobilität besser zu machen, hat das Kwiggle – die eigene und die bundesweite. Ein praktischeres Faltrad kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Wer sich ein Faltrad kaufen will, kommt am Kwiggle nicht vorbei. Denn die Größe ist unschlagbar.

Als Berliner würde ich mir zwar aufgrund des engmaschigen ÖPNV-Angebots keines kaufen. Aber für Pendler, die bis zu zehn Kilometer vom nächsten Zug zur Arbeit trennen, ist das Kwiggle eine echte Alternative zum Auto. Da dürften sich die knapp 1700 Euro für die Version, die ich testete, relativ schnell rentieren.

Wählt man die Basisversion, ohne Radschützer und Licht (148 Euro), den Gepäckträger (30 Euro) und die 3-Gang-Schaltung (148 Euro), ist das Kwiggle für 1369 Euro zu haben. Damit ist es etwa so teuer wie Modelle von Brompton oder Chedech, günstiger als Designer-Falträder wie Helix oder Riese und Müller und teurer als einfache Klappräder von Dahon oder Decathlon.
Die Frage ist, wie viele Pendler den Mut haben, das Kwiggle in ihren Alltag zu holen und den bunten Hund zu geben. Es würde sich lohnen.


„Geiles Ding“ oder „dämlich“? Dieses Rad soll Pendel-Deutschland erobern

Redakteur Wirtschaft und Finanzen